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Runneburg / Weissensee / Thüringen
Statuta thaberna
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Die Tatzen kratzen am Heiligtum
Gut gebrüllt, Löwe: Thüringen macht Bayern den Rang als Heimat des ersten deutschen Reinheitsgebots streitig / Von Claus Peter Müller
(Frankfurter Allgemeine Zeitung - 22.07.1999)
 
Im deutschen Gehege der Wappenlöwen herrschte lange Zeit Eintracht. Der bayerische Löwe konnte selbstzufrieden unter weiß-blauem Himmel dösen, war er doch unangefochten der König unter den Tieren. Sein nordwestlicher Nachbar, der hessische Löwe, ist seit jeher ein bescheidener Vertreter seiner Gattung, verzichtet er doch auf Titel wie den des freistaatlichen Löwen. Er macht nicht viel von sich reden. Statt dessen arbeitet er, füllt mit stetem Fleiß seit ehedem wie kein anderer den Freßnapf, den die Politiker, den Länderfinanzausgleich nennen. Auch der mächtige bayerische Löwe hat es sich die Dekaden hindurch gut schmecken lassen, bevor er erst vor wenigen Jahren selber damit begann, einen Teil seiner Beute abzuliefern.
 
Nun hat noch ein anderer Löwe den Weg in die bundesdeutsche Großkatzengemeinschaft gefunden. Es ist der Thüringer Löwe. Er sieht zwar aus wie der hessische, denn er ist sein älterer Bruder. Doch er kommt ärmer daher als der Verwandte aus dem Westen, dafür aber aufmüpfiger. Der Thüringer Löwe sagt, nicht sein Nachbar westlich der Werra sei sein geborener Partner, sondern der bayerische Löwe sei es, dem er nacheifere. Schon läßt der Thüringer Löwe die spitzen Krallen hervorschnellen, um den bayerischen Riesen zu kratzen. Gemeinsam mit den Sachsen entzog der Thüringer Löwe den Bayern das Privileg, Deutschland einziger Freistaat zu sein. Rasch hat der Thüringer Löwe von dem bayerischen gelernt. Ausgestattet mit üppig subventionierten Ködern, hat sich die Thüringer Großkatze längst auf geschmeidigen Pfoten im internationalen, aber auch im regionalen Revier auf die Pirsch begeben, um unter Investoren fette Beute zu machen. Das ärgert den bayerischen Löwen, einen Großmeister des Staatsinterventionismus, der zusehen muß, wie der rot-silbrig gestreifte Nachbar aus dem Norden selbst im subventionsverwöhnten weiß-blauen Zonenrand mit Bravour wildert.
 
Schließlich aber beging der aufrecht stehende, goldgekrönte und goldbewehrte Löwe, wie er in Artikel 44, Absatz 2 der Verfassung des Freistaates Thüringen beschrieben wird, einen Frevel. Er wendete seinen hochgereckten Schweif gen Süden und verkündete der Farm der großen und kleinen Tiere, er, nicht der bayerische Artgenosse, sei der Erlasser des ersten deutschen Reinheitsgebots. Ein Bierstreit entbrannte, ein Bruderzwist, der nach alttestamentarischer Überlieferung aber nur dann zum Tode des einen führt, wenn die beiden um ein Linsengericht, nicht aber um das Bier streiten.
 
Die Urheber des Bierstreits sind in Weißensee zu suchen, das auf guten Landkarten etwa 35 Kilometer nördlich von Erfurt bei Sömmerda zu finden ist. Die dortige Runneburg galt lange Zeit als uneinnehmbar. Selbst kaiserliche Heere scheiterten im dreizehnten Jahrhundert an der Festungsanlage. Entsprechend hartnäckig sind die Weißenseer noch heute. Obwohl die Bayern ob des Thüringer Bierstolzes schäumten, ließen sich die etwa 4000 Einwohner der kleinen Burgenstadt nicht verschrecken. Sie wollen Bayerns Löwen weiter wie einen Tanzbären vorführen. Das Weißenseer Reinheitsgebot sei in der "Statuta thaberna" enthalten, die wiederum einer Statutensammlung aus dem Jahr 1434 entnommen sei, sagt Weißensees Bürgermeister Peter Albach. Die Statuta thaberna sei also mithin älter als die Statutensammlung. Das bayerische und spätere deutsche Reinheitsgebot aber, das auf die Bierordnung der Stadt München zurückgehe, sei am 23. April 1516 erlassen worden. Damit sei die Weißenseer Ordnung zweifelsfrei älter.
 
Die Bayern argumentieren dagegen, daß die Weißenseer Ordnung eine von vielen Lokalordnungen gewesen sei, die es freilich auch in Bayern gegeben habe, aber das bayerische Reinheitsgebot sei die erste Landesregelung gewesen. Albach jedoch entgegnete, ohne Zustimmung des Thüringer Landgrafen Friedrich der Friedfertige wäre in Weißensee keine Bierordnung erlassen worden. Das Weißenseer Reinheitsgebot habe somit den Rang eines Landesrechts, folgert der Jurist. Noch wichtiger sei aber, daß das Weißenseer Reinheitsgebot hochwertiger sei als das bayerische. Während die Bayern lediglich vorschrieben, Hopfen, Gerste und Wasser zum Brauen zu verwenden, verlangten die Weißenseer Hopfen, Malz und Wasser, denn "das Vermalzen macht das Bier zum Bier", sagt der Bürgermeister.
 
Auch sei in der Weißenseer Ordnung das Mischverhältnis von Malz und Wasser bestimmt worden: "Das kannten die Bayern nicht. Da konnte jeder zusammenquatschen, was er wollte." In Artikel zwölf der Weißenseer Ordnung heißt es: "Zu dem Bier brauen soll man nicht mehr nehmen als soviel Malz, als man zu den drei Gebräuen von dreizehn Maltern an ein Viertel Gerstenmalz braucht. Die Gebräue soll man tun zu welcher Zeit in dem Jahr man will oder man erkennt, daß es am bequemsten sei. Es soll auch nicht in das Bier weder Harz noch keinerlei andere Ungefercke. Dazu soll man nichts besseres geben als Hopfen, Malz und Wasser. Das verbietet man bei zwei Mark und derjenige muß die Stadt für vier Wochen räumen."
 
Die Tavernen-Ordnung ist aber weit mehr als ein Lebensmittelgesetz. Sie regelt das Gasthausleben im allgemeinen und im besonderen: "Wenn der Gast bezahlen soll und bezahlt nicht gütlich und bietet der Frau böse Worte, oder des Wirtes Gesinde, kommt der Wirt dazu, und schlägt dieser den Gast mit einem Gefäße an den Kopf oder in die Zähne oder raufet ihn, soll dennoch der Gast dem Wirte die Unzucht büßen. Schlägt aber der Wirt den Gast so sehr, daß er ihn verwundet, soll der Wirt dem Gast seinen Arzt rufen." Mit einer Geldstrafe geahndet wird das Spielen um Geld, und "schlägt aber ein Bürger den anderen Bürger zu Tode, ist er der Stadt bußfällig drei Pfund."
 
Hart bestraft wurde nach der Tavernen-Ordnung das Mischen der Getränke und selbst zaghafte Ansätze der Globalisierung des Getränkemarktes: "Auch wenn zwei Bürger ihr Gebräu miteinander vermischen in einem Hause, und wenn ein jeglicher Bürger das seine heim fährt in sein Lager und zu Hause ausschenkt, verbietet man das bei zwei Mark und derjenige muß die Stadt für vier Wochen räumen. Es soll auch niemand fremde Weine noch fremde Biere einführen noch lagern noch die schenken, die hier zu dieser Stadt nicht zugewachsen sind. Das verbietet man bei vier Mark und bei einem Jahr die Stadt zu räumen."
 
Die 30 Artikel der Tavernen-Ordnung hat der stadtbekannte Weißenseer Biertrinker, Historiker und Verleger Michael Kirchschlager im historischen Archiv der Stadt entdeckt und in seinem Buch "Was Sie schon immer über teutsches Pier wissen wollten" publiziert. In seinem Werk schlägt der Autor einen weiten Bogen von den bierbrauenden Steinzeitfrauen über die Sumerer und den babylonischen König Hammurapi, der seine Biergesetze um 2050 vor Christus und außerhalb Thüringens erlassen hat, bis zu Sprüchen und Redensarten rund ums Bier.
 
Für Kirchschlager war der Streit um das Reinheitsgebot werbewirksam. Auch der Bürgermeister freut sich über die Erregung im süddeutschen Löwenland. Weißensee, einst Landgrafenstadt, von der Weimar 1410 das Stadtrecht erbeten haben, sei mit dem Verlust des Kreissitzes 1952 der Bedeutungslosigkeit anheimgefallen: "Das soll sich jetzt wieder ändern." Seit die Geschichte mit dem Reinheitsgebot die Runde mache, riefen ihn bayerische Reisebüros an, was die kleine Stadt alles zu bieten habe: zum Beispiel das älteste Rathaus Thüringens von 1198, kann Albach ihnen dann sagen. Zur Zeit wird es renoviert und ein Braukessel eingebaut. Der Bierstreit, will Albach glauben machen, sei nur ein Werbeeinfall gewesen. Denn eigentlich wollten die Weißenseer gerne mit den Bayern kooperieren. Schließlich soll die Runneburg in Weißensee nur der Sage nach 1168 durch Landgräfin Jutta begründet worden sein. Albach erinnert an die Historiker, die auch dem Bayernherzog Heinrich dem Löwen einen Platz in der Stadtgeschichte zuwiesen. Er habe in der Schlacht bei Weißensee die Thüringer Ritterschaft geschlagen und Weißensee begründet. Schließlich seien die Stadtfarben Weiß-Blau. Auch politisch herrschen in Weißensee fast bayerische Verhältnisse. Albachs Union erhielt bei der Kommunalwahl im Juni 76 Prozent der Stimmen, die SPD sechzehn und die PDS nur magere acht Prozent. "Vielleicht", sagt Albach, "versuchen wir mal über die Gebietsreform zu Bayern zu kommen. Dann wäre das älteste Reinheitsgebot wieder bayerisch."