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Runneburg / Weissensee / Thüringen
Statuta thaberna
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Das Streiflicht
(Süddeutsche Zeitung - 27.04.1999)
 
(SZ) Der Spiegel und wir Bayern - da geht`s zu wie bei Strindbergs zuhause! Eben hat er uns wieder eins übergebraten, und zwar mit Hilfe der mittlerweile ein Jahr alten Neuigkeit, wonach das bayerische Reinheitsgebot von 1516 einen Vorläufer habe: die Statuta thaberna, eine thüringische Wirtshausverordnung aus dem Jahr 1434. Darin heißt es, daß man Bier nur aus "hophin, malcz und wasser" brauen soll. Unleugbar formulierten die bayerischen Herzogsbrüder Wilhelm IV. und Ludwig X. sehr ähnlich, als sie beim Ingolstädter Landtag geboten, es dürften "zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopffen / vnd wasser / genommen vnd gepraucht" werden. So what?, wie wir Bayern gern sagen, wenn wir das laut Spiegel "schäumende Seidel" stemmen. Ändert sich die Geschichte des Biers beziehungsweise der Bier-Reinheit? Bleibt es nicht beim bewährten, gewissermaßen altgesottenen Wahlspruch "Hophin und Malcz / Gott erhalcz"?
 
Es ändert sich nichts, und es bleibt dabei. Nichtsdestoweniger ist man in der Münchner Staatskanzlei ein wenig beunruhigt über die Störung aus der Nachbarschaft und hat ein paar Wissenschaftler in Bewegung gesetzt, die das bayerische Urheberrecht an der Reinheit des Bieres untermauern oder, falls nötig, neu begründen sollen. Die Marschroute ist, einvernehmlich mit dem Bayerischen Brauerbund, etwa so festgelegt worden. Als erstes muß jemand das Gilgamesch-Epos daraufhin durchlesen, ob sich dort nicht ein Passus findet, der so lauten könnte: "Bei Utnapischtim, brau das Bier wie im Land der Breitschädel, aus Wasser, Hopfen und Gerste!" Hat man die Stelle, würde man sie übers Kultusministerium in die an den bayerischen Gymnasien approbierte Version der Odyssee einarbeiten lassen, dergestalt, daß Odysseus auch in ein bergiges Land verschlagen wird, wo sie Bier aus Hopfen, Wasser und Malz machen und wo im Biergarten Kampftrinker "Oans, zwoa, gsuffa" lallen (Quelle: Spiegel). Von da aus wäre es ein Kinderspiel, das Reinheitsgebot über das Wessobrunner Gebet, das Nibelungenlied und den Meier Helmbrecht als ewig bayerisches Kulturgut zu legitimieren, als so bedeutende lebensmittelrechtliche Vorschrift, daß sie 1434 sogar in örtlichen thüringischen Statuten ihren Niederschlag gefunden habe ...
 
Im übrigen spielt es ja wirklich keine Rolle, wo man sich zuerst dazu aufgerafft hat, Bier ohne Zusatz von Ochsengalle oder Bilsenkraut zu sieden - Hauptsache, es war in Bayern oder jedenfalls nicht zu weit weg davon. Unter diesem Aspekt kann es kein Mensch ausschließen, daß man nicht morgen schon in Kyritz/Brandenburg oder in Pasewalk/Vorpommern, ein noch älteres Reinheitsgebot findet als das von Weißensee/Thüringen. Der Osten holt, wie es scheint, mächtiger auf, als viele von uns bisher wahrhaben wollten.