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Runneburg / Weissensee / Thüringen
Statuta thaberna
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Kampf um die Quelle
Ein Historiker hat in Bayern den Volkszorn entfacht: Er stieß auf das älteste Reinheitsgebot für Bier - in Thüringen.
Von Matthias Schulz
(Der Spiegel 17/1999 - 24.04.1999)
 
Daß Maßhalten eine Tugend sei, behauptete Aristoteles. Irrte der Philosoph? Zumindest in Bayern ist es ein Laster.
 
696 Brauereien (von bundesweit rund 1300) sind im Freistaat konzentriert. "Oans, zwoa, gsuffa", lallt im Biergarten der Kampftrinker. Schäumende Seidel halten den Spülmechanismus im Hofbräuhaus aufrecht.
 
Bayerns besonderer Stolz gilt der Erfindung des Reinheitsgebots. Bereits 1516 erließ Herzog Wilhelm der IV. jenes legendäre Dekret, daß "zu kainem pier merer stückh dan allain gersten, hopfen un wasser genommen un gepraucht solle werdn".
 
Zahllose Angriffe hat dieses älteste Lebensmitttelgesetz der Welt überstanden. 1906 übernahm das deutsche Reich die Vorschrift. Selbst Brüssels Eurokraten konnten der geheiligten Verordnung wenig anhaben. Verpanschte Fremdbiere, ob Bananensud, Ostblock-Piwo oder Reisgärungen aus Fernost, halten im Handel einen Anteil von nur 2,3 Prozent.
 
Doch nun droht der "Magna Charta der deutschen Braukunst" (das Fachblatt "Lebensmittelreport"), aufbewahrt im Münchner Haupt- und Staatsarchiv, möglicherweise der Todesstoß. Nicht Güte und Wert der Vorschrift stehen in Zweifel, schlimmer: Das nahezu 500 Jahre alte Urrezept soll abgekupfert sein. Das jedenfalls behauptet der thüringische Historiker Michael Kirchschlager. Im Februar letzten Jahres hatte er eine Handschrift "mit brisantem Inhalt" vorgelegt. Sie regelt streng die Zutaten beim Bierbrauen und ist - sapperlot - 82 Jahre älter als das Gerstengesetz aus Bayern.
 
Über 500 Jahre lang schlummerte das Dokument in der mittelalterlichen Runneburg nahe Erfurt. Dann stieg Kirchschlager in die Gewölbe und sichtete Hunderte von ledergebundenen Wälzern - die Akten der Stadt Weißensee.
 
In einem der vergilbten Bände entdeckte er eine Wirtshausverordnung, die "Statuta thaberna". Dort heißt es in Artikel 12: "Ayn sal auch nicht in die bier weder harcz noch keynerleie andere ungefercke dar zcu nicht thun danne hophin, malcz und wasser."
 
Seitdem schäumt in Bayern die Volksseele. Flugs trat der Bayerische Brauereiverband zusammen und sprach dem Dekret die Glaubwürdigkeit ab. Das Weißenseer Statut besitze nur "lokalen Charakter", höhnte CSU-Minister Reinhold Bocklet. Der Gold-Rodler Georg ("Schorsch") Hackl polterte: "Pfuscht uns net ins Bier nei, wir sagen a nix über euere Röstwürstl."
 
Doch Kirchschlager ließ nicht locker. Letzten Donnerstag schob der Experte neue Beweise in Buchform nach*.
 
Rund ein Dutzend Journalisten wurden auf die Runneburg geladen und lauschten bei Biergulasch und Bierschaumcreme, wie der Ursprungsmythos vom bajuwarischen Sauberbier demontiert wurde. Fazit Kirchschlager: "In Sachen Reinheit hatte Thüringen die Nase vorn."
 
Der Text aus Weißensee, 1434 formuliert, enthält neben den erlaubten Ingredienzen konkrete Hinweise auf verbotene Hilfssubstanzen. So wurde untersagt, Baumharz ins Bier hineinzumischen - eine beliebte Technik, um dem Getränk mehr Geschmack zu verleihen. Auch "Ungefercke" werden geächtet. Gemeint sind Zusatzstoffe wie Ochsengalle oder das - Halluzinationen auslösende - Bilsenkraut.
 
Der Bayerische Brauerbund, vom Angriff auf seinen Nationalstolz überrascht, gab sich letzte Woche patzig. Sprecher Lothar Ebbertz parierte den Angriff durch Hinweise auf "altbayerische Vorläufergesetzte". Zudem soll das bayerische Reinheitsgebot ununterbrochen gültig gewesen. "In Thüringen dagegen haben die Brauer schon bald wieder Stärkemehl, Zucker und Sirup in ihre Sudpfannen geschüttet."
 
Doch die Ausflüchte ziehen nicht. In der Kernfrage sieht die Lederhosen-Fraktion alt aus. Bereits 1351 hielt ein Innungsartikel der Stadt Erfurt fest, daß "nyemant mit Rysich noch Stro bruwen sall". Der Münchner Stadtrat übernahm die Absicht übers Bier erst 1363. Der erste bayerische Hinweis auf die Verwendung von Gerste, Hopfen und Wasser stammt aus dem Jahr 1453. Da war die Thüringer Verordnung schon fast 20 Jahre in Kraft.
 
Zudem kann Kirchschlager mit härteren Strafregeln aufwarten. In Bayern wurde "böses Bier" nur konfisziert, der Panscher kam ungeschoren davon. Die Räte aus Weißensee gingen drakonischer vor: Wer Ruß, Kümmel oder Fichtenspäne in die Braukessel kippte, wurde für vier Wochen aus der Stadt gejagt. Das Strafgeld lag bei "zcwen Marken" - was etwa 500 Gramm Silber entsprach.
 
Trotz der erdrückenden Beweise geben die Reinheitsapostel von der Isar Hopfen und Malz nicht verloren. Um die Zweifler aus dem Ossiland doch noch abzuschmettern, soll nun ein "kompetenter Historiker" als Gegengutachter ins Feld geschickt werden. Ebertz: "Bayern bleibt das Stammland des Gerstensafts."